Wütende Demonstranten haben Arbeitsminister Hubertus Heil am Montagabend vor einem Bürgerdialog in Frankfurt an der Oder empfangen. Dutzende Menschen vor dem Veranstaltungsort Kleistforum hupten und pfiffen und warfen der Ampel-Koalition Kriegstreiberei, Lügen, Betrug und Hetze vor. Später fuhr eine Fahrzeugkolonne hupend an der Halle vorbei. Wie viele Demonstranten insgesamt protestierten, wollte die Polizei auf Anfrage nicht schätzen.
Heil zeigte sich besorgt über die Tonlage. «Ich ducke mich vor keiner Diskussion weg, auch keiner kritischen», sagte der SPD-Politiker. «Aber wichtig ist, dass man einander zuhört.» Er habe sich an eine Gefahreneinschätzung der Polizei gehalten und sei der Menge deshalb fern geblieben. «Wir haben eine gesellschaftlich angespannte Lage, das muss man wissen. Ich habe den Eindruck, dass die vielen Veränderungen, Kriege und Krisen, die wir erleben, diese Gesellschaft sehr, sehr müde und auch leicht entzündbar machen.»
Quote der arbeitenden Ukrainerinnen etwas gestiegen
Beim Bürgerdialog mit rund 120 Menschen bekam der Arbeitsminister unter anderem kritische Fragen, warum in Deutschland weniger ukrainische Geflüchtete in Arbeit sind als etwa in den Niederlanden. Heil führte das auch zurück auf die Sprachbarriere: In den Niederlanden sei es üblicher, auch Englisch als Arbeitssprache zu akzeptieren. Die Quote der arbeitenden Geflüchteten sei immerhin von 19 auf 23 Prozent gestiegen. Aber: «Wir müssen und wollen da besser werden», sagte der Sozialdemokrat.
Hauptthema der Veranstaltung unter dem Motto «Hin. Gehört» waren Fachkräfte. Heil wollte sich nach eigenen Angaben darüber informieren, welche Herausforderungen die Menschen im Alltag und im Berufsleben erleben. Einige «Merkposten» nahm er nach eigenen Worten mit, darunter die Frage, wie Menschen Zeit und Geld für die nötige Weiterbildung bekommen.
Eine «wilde Idee»
Außerdem betonte er die Notwendigkeit, Schüler aller Schularten frühzeitig an Berufe heranzuführen. Dazu bekräftigte Heil seine «wilde Idee» eines Praxismonats vor den Sommerferien. Das hatte der Minister im vergangenen Jahr ins Gespräch gebracht.
Heil sagte, in den 90er Jahren sei Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland das große Thema gewesen, doch jetzt stehe man vor dem umgekehrten Problem. Abwanderung und Geburtenmangel in den Jahren nach der Vereinigung hätten dazu beigetragen. Jetzt sei der Osten bei Arbeits- und Fachkräftesicherung ein «Frühblüher» für ganz Deutschland, sagte Heil.
Heil sagte, es sei ihm wichtig, nicht nur in Berlin Politik zu machen, sondern auch vor Ort mit Bürgern zu sprechen und mehr über praktische Lösungen zu erfahren. Die Menschen, die Dinge ändern wollen, seien immer noch die Mehrheit. «Dieses Land ist nicht am Ende, es ist eines der stärksten Länder der Welt, aber es braucht dringend Erneuerung in vielen Bereichen», sagte Heil.
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