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Berliner Lehrer rufen um Hilfe: Angst, Gewalt und Chaos

Ein Brandbrief einer Berliner Schule wegen Gewalt und Chaos richtet sich auch an Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU). (Archivbild) / Foto: Carsten Koall/dpa
Ein Brandbrief einer Berliner Schule wegen Gewalt und Chaos richtet sich auch an Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU). (Archivbild) / Foto: Carsten Koall/dpa

Lehrer der Friedrich-Bergius-Schule in Berlin rufen hilfesuchend wegen aggressiver Schüler und fehlender Unterstützung zum Senat.

Der Hilferuf der Lehrer einer Berliner Schule klingt dramatisch. Richtiger Unterricht sei kaum noch möglich, schreiben die Pädagogen der Friedrich-Bergius-Schule aus Friedenau in einem Alarmbrief an die zuständige Schulaufsicht. Aggressive und bildungsferne Schüler bedrohten Lehrer und würden sich gegenseitig mobben. Und Schüler und manche Lehrer hätten Angst. 

Das Lehrer-Kollegium vermisst die Unterstützung der Schulbehörde und des Berliner Senats. In einem siebenseitigen Brief, der am Mittwoch öffentlich wurde und der dpa vorliegt, hat das Kollegium nun um Hilfe gebeten. Der «Tagesspiegel» berichtete zuerst. 

Die Bergius-Schule ist eine sogenannte Integrierte Sekundarschule von der 7. bis 10. Klasse mit etwa 400 Schülern und rund 40 Lehrern. Diese Schulform ersetzt in Berlin die früheren Haupt- und Realschulen. Die Schule mit ihrem schönen Altbau liegt im eigentlich eher bürgerlichen Stadtteil Friedenau im Bezirk Tempelhof-Schöneberg im Westen der Hauptstadt. Die meisten Schüler kommen allerdings nicht aus der Gegend, sondern wurden aus anderen Stadtteilen zugeteilt. Eine S-Bahnstation ist nicht weit entfernt. 

Erinnerung an Rütli-Schule

Die jetzt geschilderten Zustände erinnern die Neuköllner Rütli-Schule von 2006. Damals schrieben Lehrer einen bundesweit beachteten Brandbrief. Nachdem jahrelang sehr viel Geld investiert und neues Personal zugeteilt wurde, ist die Rütli-Schule heute ein Vorzeigeprojekt.

Das Lehrer-Kollegium der Friedrich-Bergius-Schule schreibt, es vergehe kein Tag ohne Beleidigungen und Bedrohungen von Lehrern durch Schüler sowie ernsthafte Mobbing-Fälle unter den Schülern. Es gebe eine «bedrohliche Gewaltbereitschaft und verbale Übergriffe» vor allem der männlichen Schüler. Auf dem Schulhof würden Böller gezündet und Wasserflaschen auf Schülergruppen und Lehrer geworfen. Lehrer fühlten sich bedroht und seien zahlenmäßig unterlegen.

Verstärkt müsse die Schule die Polizei rufen, um bei eskalierenden Situationen etwa nach Schulschluss vor dem Schulgebäude einzugreifen. Anwohner der Schule würden sich über Schüler beschweren, benachbarte Supermärkte Hausverbote verhängen. Trotz strenger Hausordnung und Schulpädagogik komme die Schule immer mehr an ihre Grenzen. 

Angst vor Toilettenbesuch

Die Probleme mit aggressiven, gewaltbereiten und bildungsfernen Schülern, die zum Teil kein Deutsch sprechen, habe die Schule bei den Behörden schon länger thematisiert. «Vorherrschend sind massive Verhaltensauffälligkeiten und ungebührliches, asoziales Unterrichtsverhalten», heißt es weiter. Die größte Angst vieler Schüler und Schülerinnen sei, beim Toilettenbesuch «in kompromittierenden Situationen» von anderen Schülern mit eigentlich verbotenen Handys an der Trennwand vorbei fotografiert oder gefilmt zu werden. 

Ihrem Brief hat die Schule eine Tabelle angehängt. Danach häuften sich schon in den ersten zwei Monaten nach den Sommerferien bis Anfang November 489 unentschuldigte Fehltage der Schüler - 112 davon an einer 9. Klasse. 517 Mal musste ein Schüler oder eine Schülerin während des Unterrichts zu einem der Sozialpädagogen geschickt werden. 

59 Anzeigen wegen Schulversäumnis in zwei Monaten 

Die Schule habe 59 Anzeigen wegen Schulversäumnis und 29 Meldungen wegen Kinderschutz an die Jugendämter gestellt. Zuletzt habe es im vergangenen Schuljahr auf solche Anzeigen aber nur eine einzige Antwort gegeben, klagte die Schule. Elternvertreter berichteten, die Schulaufsicht sei auf ihre Fragen und Bitten nicht eingegangen.

In den meisten Klassen haben 80 Prozent der Schüler oder mehr eine andere Muttersprache als Deutsch, in einer Klasse sind es 100 Prozent. Die Eltern seien oft völlig überfordert, stellen die Lehrer fest. Mehrere jugendliche Mädchen aus osteuropäischen Ländern hätten noch nie eine Schule besucht. Es gebe eine ganze Reihe kinderreicher Familien - «mit bis zu elf Geschwistern, die auf sehr engem Raum leben». Eine siebenköpfige Familie lebe in einer 1,5 Zimmer-Kellerwohnung. «Es gibt Mütter oder Väter, die im Gefängnis sitzen, während Familienhelfer die tägliche Erziehung der Kinder übernehmen.» 

Mehr Lehrer, Psychologen und ein Pförtner werden gefordert

Die Schule schlägt der Schulaufsicht mehrere Maßnahmen vor: Mehr Lehrer für Unterricht in geteilten Klassen, eine feste Schulpsychologin zusätzlich zu den Sozialpädagogen, eine bessere Hofaufsicht gegen aggressive Schülergruppen und einen Pförtner am Eingang, um das unerlaubte Verlassen der Schule zu verhindern. 

Die Berliner Senatsschulverwaltung erklärte: «Die Schulaufsicht ist mit der Schulleitung im Austausch und wird in Kürze bei einem klärenden Gespräch weitere Unterstützung anbieten, aber auch die Vorgänge an der Schule prüfen. Die Hausspitze nimmt die Schilderungen aus der Schule ernst und lässt sich berichten.»

Schulpolitik: Kein Sitzenbleiben, keine Fehlzeiten im Zeugnis

Abschließend ziehen die Lehrer ein desaströses Resümee der Berliner Schulpolitik, weil sie Lehrern viele Sanktionsmöglichkeiten genommen habe. Problematische Schüler könnten weder sitzenbleiben noch von der Schule gewiesen werden. In den 9. und 10. Klassen dürften keine Tadel und Verweise auf dem Zeugnis stehen. Auf dem Abschluss-Zeugnis dürften nicht einmal Fehlzeiten aufgelistet werden. 

«Der Leistungsgedanke ist für Schülerinnen und Schüler der Integrierten Sekundarschulen seit Jahren abgeschafft», so das Fazit. Am Ende der Schulzeit gebe es «geschönte und weichgespülte Schulabschluss-Ergebnisse». Schuldistanz und problematisches Verhalten blieben auf den Abschlusszeugnissen verborgen. «So ist es nicht verwunderlich, dass die Abbrecherquoten im Handwerk und der Ausbildung enorm hoch sind; unsere Schülerschaft scheitert vielfach an der Realität.»

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