Auf einer Brache hinter dem früheren Atomkraftwerk Lubmin plant Stephan Knabe die Zukunft. Auf sechs Hektar im Schatten des stillgelegten Meilers soll eine Großelektrolyseanlage Wasserstoff produzieren. Und zwar schon ab 2026, wie der Gründer der Firma Deutsche Regas sagt. Ebenfalls ab 2026 soll ein schwimmendes Terminal am Hafen Lubmin per Schiff angeliefertes Ammoniak in Wasserstoff umwandeln. Das Gas soll über eine Pipeline Richtung Süden fließen, die ursprünglich für Erdgas aus der Nord-Stream-Leitung gebaut wurde. Der erste umgerüstete Abschnitt soll schon 2025 in Betrieb gehen.
Da ist noch eine Menge «soll» und «möchte», aber Knabe und der Pipelinebetreiber Gascade lassen keinen Zweifel: Sie setzen eine Menge Kapital auf die deutsche Energiewende, die Umstellung auf erneuerbare Energien, bei der Wasserstoff als Speichermedium eine entscheidende Rolle spielen soll. Die Pläne klingen sehr konkret. Das ist wohl der Grund, warum der Ostbeauftragte Carsten Schneider auf seiner Sommerreise bei den beiden Firmen am Lubminer Hafen Station macht. Die ganze Tour soll deutlich machen: Der Umbau der Energieversorgung ist im vollen Gange - obwohl im Moment Gegenwind herrscht.
«Es wird hart werden»
Mit der AfD feiert eine Partei Wahlerfolge, die den menschengemachten Klimawandel bestreitet und die Energiewende stoppen will. Sie will zurück zu Atomkraft, Kohle und Gas. Auch das in Umfragen aufstrebende Bündnis Sahra Wagenknecht fordert, sich wieder auf billiges Gas aus Russland zu verlassen. «Die Energieversorgung Deutschlands lässt sich im Rahmen der heutigen Technologien nicht allein durch erneuerbare Energien sichern», heißt es im BSW-Gründungsmanifest. Vielerorts gibt es erbitterte Widerstände gegen jedes neue Windrad, jeden Solarpark.
Schneider weiß das alles. «Man darf sich nichts vormachen», sagt der SPD-Politiker. «In den nächsten Jahren wird es hart werden, die unterschiedlichen Anlagen durchzusetzen, weil die Widerstände gezielt von BSW und AfD genutzt werden.» Die Ampel will kontern.
Im ersten Halbjahr 2024 bezog Deutschland fast 60 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Quellen. Ostdeutschland steuere zur Energiewende überproportional viel bei, sagt Schneider. 15 Prozent der Bevölkerung, aber 27 Prozent der Erneuerbaren. Ohne Ostdeutschland keine Energiewende. Das alles sei «noch zu wenig positiv erzählt», meint der Ostbeauftragte.
Nach dem harten Bruch in Schwedt
Positiv erzählt Schneider auf seiner Sommerreise erstmal die Geschichte des PCK Schwedt. Die Großraffinerie im Nordosten Brandenburgs verzichtet auf Betreiben der Bundesregierung wegen des Ukraine-Kriegs seit Anfang 2023 auf russisches Öl, das die Anlage jahrzehntelang versorgt hatte. Ein harter Bruch. Doch der sei bewältigt, die Bezugsquellen seien erfolgreich umgestellt, meint die Bundesregierung. Die Auslastung sei wieder bei 80 Prozent - nicht so hoch wie damals mit russischem Öl, aber wohl hoch genug für einen wirtschaftlichen Betrieb.
Auch in Schwedt wird die Zukunft mit Wasserstoff geplant, wenn auch nicht ganz so konkret und kurzfristig wie in Lubmin. Schwedts Bürgermeisterin Annekathrin Hoppe (SPD), die noch vor einem Jahr sehr besorgt war über die Zukunft der Raffinerie und der Stadt, sagt jetzt: «Bei mir überwiegt inzwischen die Zuversicht.» Schneider ist sehr zufrieden. Eine Erfolgsgeschichte aus dem Osten.
Im Reich des Stellarators
Vielversprechend klingen auch die Aussichten auf Fortschritte zur Kernfusion am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Greifswald. In einer riesigen Halle wird dort mit einem sogenannten Stellarator experimentiert, einem mehrere Stockwerke hohen Monstrum aus Spulen, Röhren, Leitungen und Schläuchen. Ziel, wie überall in der milliardenschweren Fusionsforschung weltweit: der Nachweis, dass mit Kernfusion im großen Maßstab Energie gewonnen und auch kommerziell genutzt werden kann. Sie könnte Strom aus Wind oder Sonne irgendwann ergänzen.
Institutsdirektor Robert Wolf hält sich zurück, der 60-Jährige will nicht zu viel versprechen. Aber er ringt sich bei Schneiders Besuch immerhin zu dieser Aussage durch: «Ich denke, wir werden eine solche Anlage bauen können. Die Frage ist dann, ist sie ökonomisch sinnvoll oder nicht. Die Frage ist nicht abschließend beantwortet.» Auch ist der Durchbruch nicht unbedingt um die Ecke. Als Zeitrahmen für einen «Fusionsdemonstrator» nennt Wolf 2050.
«Wir arbeiten am Beweis, dass es funktioniert»
Erfindergeist! Investitionen! Förderung! Jobs! Aufbruch! Darauf lenkt Schneider gerne den Blick. Dass viele Bürger gerade im Osten Zweifel haben, dass sie der Politik der Ampel misstrauen und Protest wählen, dass Klimaschutz und Ökoenergie keine Konjunktur zu haben scheinen: Die Bundesregierung kann nur darauf setzen, dass das vorbeigeht und die positive Erzählung verfängt.
Die Vertreter von Regas und Gascade im Lubminer Hafen können indes wenig anfangen mit der Frage, ob das politische Umfeld und die Zweifel an der Energiewende sie ausbremsen könnten. Der Gedanke scheint ihnen noch nicht gekommen zu sein. Nach kurzem Nachdenken sagt Gascade-Manager Dennis Wehmeyer: «Wir arbeiten jeden Tag daran, den Beweis anzutreten, dass es funktioniert.»
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